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Lebenslange Liebe: Marta Halusa (1910-1999) und Margot Liu (1912-1993)


Marta Halusa, Margot Holzmann und Hund Fuschi © Privatarchiv
Marta Halusa, Margot Holzmann
und Hund Fuschi © Privatarchiv

Auf dem Edgwarebury Jewish Cemetery im Norden von London liegen in einem Doppelgrab die sterblichen Überreste von Marta Halusa und Margot Liu.1 Die beiden Frauen waren gebürtige Deutsche und seit den 1930er Jahren ein Paar. Während der zwölf Jahre nationalsozialistischer Herrschaft von 1933 bis 1945 wurden sie von Kriminalpolizei und Gestapo verfolgt.2

Erst 1949 gelang ihnen die Emigration nach England. Dort verbrachten sie zusammen noch mehr als 40 glückliche Jahre: Margot Liu starb 1993 im Alter von 80 Jahren, Marta Halusa 1999 mit 89 Jahren. Auf ihren ausdrücklichen Wunsch hin wurden die beiden Frauen in einem gemeinsamen Grab beerdigt: Sie wollten auf jeden Fall auch über den Tod hinaus zusammenbleiben – und sind so auch für aufmerksame Friedhofsbesucher*innen als lesbisches Paar sichtbar.

Wer war Marta Halusa, wer Margot Liu?
Marta Halusa wurde am 3. Oktober 1910 in Brunsbüttelkoog (heute: Brunsbüttel) als eines von insgesamt acht Kindern in eine kommunistische Arbeiter*familie geboren. Ihre Eltern, Berta Gritzka (1877-1944) und Johann Halusa (1876-1969), waren evangelisch getauft und beide gebürtig aus Skalung bei Oppeln (heute Skałagi bzw. Opele/Polen).3 1907 zogen sie zum Arbeiten nach Norddeutschland. Nach der Volksschule ging Marta mit 14 Jahren in der Holsteiner Umgebung als Küchenhilfe "in Stellung". Anfang der 1930er Jahre zog sie nach Hamburg zu ihren Schwestern und bestritt auf dieselbe Weise ihren Lebensunterhalt. An der Elbe beginnt sie – offenbar iin ihrer Freizeit – mit professionellem Tanz. Sie tritt in verschiedenen Hamburger Tanztheatern auf und bekommt auch einen Part im Varieté "Alcazar".4 Dort lernt sie die Tänzerin Margot Holzmann kennen – und möglicherweise verlieben sie sich sofort ineinander, denn nach der Teilnahme an verschiedenen Tourneen wohnen sie gemeinsam in Berlin.

Margot Johanna Holzmann wurde am 12. Januar 1912 in Ratibor/Schlesien (heute: Racibórz/Polen) als Erste von drei Töchtern in eine jüdische Familie geboren. Ihre Eltern waren Hulda Bernstein (1892-1925) und Paul Holzmann (1879-1942), ein Markthändler und reisender Kaufmann. Die Familie zog von Ratibor nach Breslau (heute: Wrocław/Polen), dann nach Halle an der Saale. Mit nur 32 Jahren starb dort Margots Mutter 1925 an einer Fehlgeburt. Der Vater gab – vermutlich notgedrungen – seine drei minderjährigen Töchter Margot (13), Charlotte (11) und Ilse (8) in die Obhut des Mädchenwohnheims des Jüdischen Frauenbundes in Neu-Isenburg. In dem von Bertha Pappenheim (1859-1936) errichteten Heim südlich von Frankfurt am Main sollte Margot nach Wunsch des Vaters eine Ausbildung zur Säuglings- und Kinderpflegerin machen. Ihr großer Traum war es jedoch schon damals, eine Solo-Tänzerin zu werden. Als Paul Holzmann 1929 seine zweite Frau, Lea (Leonore) Grünbaum (1883-1941), heiratete, durften die Kinder nach Halle zurückkommen. Margot Holzmann, inzwischen 16 Jahre alt, ging nach Abschluss der Mittelschule von 1929 bis 1931 zur Ballettschule Wegner und hoffte auf die Erfüllung ihres Traums. Es folgten tänzerische Tourneen in Deutschland und anderen Ländern Europas – darunter auch die Erwähnte in Hamburg – und überwiegend Auftritte in Berlin.5

Werbekarte für Pepita, ca. 1937 © Privatarchiv
Werbekarte für Margot Holzmann
ca. 1937 © Privatarchiv
Werbekarte für Marta Halusa <br>ca. 1937 © Privatarchiv
Werbekarte für Marta Halusa
ca. 1937 © Privatarchiv

In dieser Zeit aber erstarkten die Nationalsozialist*innen und mit ihnen ihre menschenverachtende, antisemitische Politik. 1933 kam Adolf Hitler (1889-1945) mit der NSDAP an die Macht und erste Gesetze gegen Jüd*innen wurden erlassen, so dass den beiden Margot Holzmann und Marta Halusa nicht viel Zeit für eine gemeinsame Tanzkarriere6 blieb. Sie entwickelten daher Werbekarten speziell fürs Ausland, darunter auch mindestens eine, die sie als Tanzpaar "Pepita & Peter" ausweist.7 Als Paul Holzmann 1938 ins Konzentrationslager Sachsenhausen bei Oranienburg nördlich von Berlin deportiert wird, befasst sich Margot Holzmann erneut mit Ausreiseplänen, aber die Schweiz weist sie wegen der Konstruktion der "Ueberfremdung" ab8 und dann ist es zu spät: Margot gelingt keine Auswanderung mehr.

In Berlin sind Marta Halusa und Margot Holzmann der nationalsozialistischen Verfolgung ausgesetzt. Wegen ihrer jüdischen Herkunft wird besonders Margot Holzmann von der Polizei in den Blick genommen. Die Eheschließung mit dem in Berlin ansässigen chinesischen Kellner Chi-Lan Liu (1906-1951),9 zu der sie sich wohl mit Marta Halusas Zustimmung entschieden hat, bringt ihr 1941 durch die chinesische Staatsbürgerschaft allerdings nur eingeschränkt die erhoffte Sicherheit vor der drohenden Deportation. Denn der Ehemann fühlt sich bald betrogen und kämpft – auf Kosten seiner jüdischen Ehefrau – vor Gericht um die Scheidung. Dafür denunziert er sie im September 1942 bei der Berliner Kriminalpolizei. Sein Rechtsanwalt führt Argumente gegen Margot an, von denen er glaubt, dass er sie damit vor Gericht wirkungsvoll kriminalisieren kann, denn lesbische Lebensweisen waren nicht strafbar: Margot Liu gehe der "Gewerbsunzucht" (Prostitution) nach und treibe "lesbische Liebe" mit der als "Arierin" benannten Marta Halusa, die ebenfalls der "Gewerbsunzucht" nachgehe.10 Prostitution, lesbische Handlungen – und dazu zwischen einer Jüdin und einer Frau, die als "Arierin" dieser hierarchisch übergeordnet gedacht wurde – all das zusammen fand der Anwalt einer Bestrafung würdig.

Margot Holzmann, ca. 1939 © Privatarchiv
Margot Holzmann
ca. 1939 © Privatarchiv

Die Angeklagten geben die Tätigkeit in der Prostitution zu, distanzieren sich jedoch von dem Vorwurf der homosexuellen Lebensweise. Vielleicht wollten Margot, die nun Liu heißt, und Marta Halusa auf diese Art und Weise das Private und die Intimität ihrer Beziehung bewahren und vor Zugriffen von außen schützen? Vorstrafen wegen sogenannter gewerblicher Unzucht wurden gegen sie bereits 1939 verhängt. Möglicherweise hielten sie es generell für klüger, von der Gestapo als Prostituierte eingestuft zu werden – und nicht als lesbische und/oder widerständige Frauen. Trotzdem wird von der Berliner Kriminalinspektion M.II2 im Oktober 1942 ein "Merkblatt (…) wegen Verdacht der lesbischen Liebe" für Margot Liu angelegt.11 Die – zum Schutz eingegangene – Ehe wird erst nach dem Krieg geschieden.

Über mehrere Jahre werden Margot und Marta immer wieder denunziert, festgenommen, freigelassen, denunziert. Mal gelangen sie durch Bestechung eines Beamten wieder auf freien Fuß, mal werden sie von den Beamten erpresst. Zusammen flüchten sie sich schließlich in den Untergrund mit häufig wechselnden Quartieren. 1943 findet Margot Liu Arbeit in einem zahntechnischen Labor. Die Inhaber [Martin] Schorn & Schöning,12 drucken heimlich Flugblätter mit aufklärenden Informationen, die sie bei englischen und russischen Radiosendern gehört hatten.

Marta Halusa ca. 1939 © Privatarchiv
Marta Halusa, ca. 1939
© Privatarchiv

Marta Halusa erklärt sich bereit, die Flugblätter im Norden Berlins zu verteilen, obwohl dies für sie und Margot mit großer Gefahr verbunden ist. Im April 1945 werden Halusa und Liu in einen Hinterhalt gelockt, verraten und erneut festgenommen – diesmal wegen staatsfeindlicher Propaganda, sogenannter Heimtücke und Hochverrat.13 In Folge der Verhaftung widerfahren – in Halusas Erinnerung – vor allem Margot Liu schwere Misshandlungen; denn sie war als Jüdin massiv dem antisemitischem Hass ausgesetzt. Bei einer Überstellung in ein anderes Gefängnis gelingt ihnen aber glücklicherweise die Flucht. Bis zum Einmarsch der Roten Armee halten sie sich versteckt.

Nach Kriegsende werden Margot Liu und Marta Halusa als "Opfer des Faschismus" anerkannt. Obwohl 1945 Berlin in Schutt und Asche liegt und unzählige Menschen nach ihren von den Nazis verschleppten, ermordeten oder aber auch ausgebombten Angehörigen suchen, weiß Margot Liu schon unmittelbar nach dem Krieg davon, dass ihr Vater, Paul Holzmann, 1942 harte körperliche Zwangsarbeit leisten musste und im selben Jahr zu Tode kam.14 Und Marta Halusa berichtet in ihrer "Opfer des Faschismus"-Akte, dass ihre Mutter auch eines gewaltsamen Todes gestorben ist: Im September 1944 war Berta Halusa aus der "Heilanstalt Schleswig" in Anstalt Meseritz-Obrawalde (heute: Międzyrzecz-Obrzyce/Polen) östlich von Berlin überführt und dort getötet worden.15 Erst 1949 gelingt es Marta und Margot endlich, nach England zu Margots früher geflüchteter Schwester Ilse auszuwandern. Ilse Holzmann ist seit 1940 verheiratet und trägt seitdem den Nachnamen Uri. Es fällt allen schwer, mit der englischen Sprache umzugehen und sich einzuleben.

In den nächsten zwei Jahrzehnten kämpfen die Schwestern und Marta Halusa von London aus gemeinsam um halbwegs angemessene sogenannte Entschädigungen für das während der Naziherrschaft erlebte Unrecht. Wegen der erlittenen Gewalt sind beide gesundheitlich stark eingeschränkt und können über längere Zeiträume nicht arbeiten. Margot benötigt daher dringend die finanzielle Unterstützung der ‚Entschädigungs'leistungen – die aber lange auch auf sich warten lassen – und das Erstreiten kostet erneut Energie.16

Marta und Margot mit Besuch <br> 1966 © Privatarchiv
1966 in London. Marta (links mit Hund)
und Margot (stehend), mit Edith und Gerhard:
Besuch aus Berlin © Privatarchiv

Der 1948 von Ilse Uri geborene Sohn David verbringt als kleiner Junge und auch noch als Heranwachsender viel Zeit bei seinen "Tanten" Margot und Peter – wie auch er Marta nennt. Zwischenzeitlich wohnt David sogar bei ihnen, weil die Eltern beide arbeiten. Vom Zuhören lernt er verschiedene Ausdrücke und manche Redewendung in deutscher Sprache. Auch schnappt er allerlei auf, was nicht für Kinderohren bestimmt ist. So hört er Namen von Rechtsanwälten, Personen, Städten und fragmentarische Details, die erst bei der späteren Aufarbeitung der Lebensgeschichten in Teilen zugeordnet werden können.

Marta Halusa wird ihre Entschädigungsforderung erst 1961 eingeschränkt zuerkannt. Als ihnen endlich größere Geldbeträge zugesprochen werden, kaufen die beiden Frauen sich ein eigenes Häuschen mit Garten. Dort verbringen sie noch viele glückliche Tage, und auch alte Freund*innen aus Deutschland kommen sie besuchen. Damit das Frauenpaar auch im Tod vereint bleiben kann, konvertiert die evangelisch geborene Marta Ende der 1980er Jahre zum jüdischen Glauben, und zwar in der Londoner Belsize Square Synagogue, einer jüdischen Gemeinde, die 1939 von vornehmlich deutschen Geflüchteten gegründet worden war. David Uri kümmert sich, als es soweit ist, um die Beerdigungen und sorgt dafür, dass ihr Wunsch, in einem gemeinsamen Grab bestattet zu werden, auch in Erfüllung geht.

2014 wurde Margot Liu und Marta Halusa erstmals in einer Gedenkveranstaltung am Denkmal für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen in Berlin gedacht.


Ingeborg Boxhammer (Bonn 9/2020)



Weiterlesen:
Ingeborg Boxhammer: Marta Halusa und Margot Liu – Die lebenslange Liebe zweier Tänzerinnen (Jüdische Miniaturen 175), Berlin: Hentrich & Hentrich 2015


Zitiervorschlag:
Boxhammer, Ingeborg: Lebenslange Liebe: Marta Halusa (1910-1999) und Margot Liu (1912-1993). Bonn 2020. Available from: Online-Projekt Lesbengeschichte. Boxhammer, Ingeborg/Leidinger, Christiane. URL https://www.lesbengeschichte.org/bio_halusa_liu_d.html [cited DATE]





1 Herzlichen Dank an David Uri, einem Neffen von Margot Holzmann, für all die Informationen und Abbildungen, die er mir freundlicherweise zur Verfügung stellte.


2 Die Historikerin Claudia Schoppmann hatte 1993 in ihrem Buch "Zeit der Maskierung. Lebensgeschichten lesbischer Frauen im Dritten Reich" Zeitzeuginneninterviews veröffentlicht, darunter eines mit Anneliese Wulf. Wulf hatte Margot Holzmann als verfolgte jüdische Bekannte genannt.


3 Stadtarchiv Brunsbüttel.


4 "Opfer des Faschismus"-Akte (OdF-Akte) Halusa, Landesarchiv Berlin (LAB), C Rep. 118-01, Nr. 302; LABO 'Entschädigungs'akte (E-Akte) Halusa, Nr. 65462, B22, B23, C22.


5 OdF-Akte Liu, LAB, C Rep. 118-01, Nr. 6438.


6 Marta Halusa wurde auch nach dem Krieg "Peter" gerufen. – Leider ist zu Halusas und Holzmanns/Lius Karrieren bzw. Auftritten als Tänzerinnen nichts weiter überliefert.


7 E-Akte Liu, Nr. 64829, C28.


8 E-Akte Liu, Nr. 64829, C26. – Der Aufstieg des deutschen Nationalsozialismus führte auch in der Schweiz zu einem Erstarken der rechtskonservativen Kräfte, die mit zunehmender "Fremdenfeindlichkeit" auch in einer zunehmend restriktiver werdenden Asylpolitik ihren Ausdruck fand, die sich besonders gegen Jüdinnen* und Juden* richtete. Eine Emigration in die Schweiz erforderte in der Regel eine nachweisbare politische Verfolgung und/oder die Zugehörigkeit zur kulturellen Elite; antisemitische Verfolgung schien den Behörden nicht relevant. Siehe dazu z. B. Astrid Pohl: Salomé auf der Flucht. Tilla Durieux und das Exil deutschsprachiger Schauspielerinnen in der Schweiz, in: Augen-Blick. Marburger Hefte zur Medienwissenschaft, H. 33 (2002), S. 71-107, hier bes. 84-88.


9 Herzlichen Dank an Claudia Schoppmann für die Mitteilung des Todesdatums von Chi-Lan Liu.


10 LAB, A Rep. 358-02, Nr. 61616.


11 LAB, A Pr. Br. Rep. 030-02-02, Nr. 90.


12 Der hier erwähnte Widerstand des Ehepaars Schorn und Herrn Schöning ist – wie ihre Biografien – noch nicht erforscht.


13 OdF-Akte Liu, LAB C Rep. 118-01, Nr. 6438.


14 OdF-Akte Liu, LAB C Rep. 118-01, Nr. 6438.


15 OdF-Akte Halusa, LAB C Rep. 118-01, Nr. 302.


16 E-Akte Liu, Nr. 64829; E-Akte Halusa, Nr. 65462.