Rede von Traude Bührmann


Traude Bührmann während ihrer Rede am 16. Oktober 2013 in Berlin-Schöneberg


Dokumentation der Rede der Initiatorin Traude Bührmann, die sie während der Gedenksteineinweihung für Gertrude Sandmann und Tamara Streck am 16. Oktober 2013 in Berlin-Schöneberg gehalten hat:


Die Liebenden, zum Gedenkstein


Herzlichen Dank, Marion Schwan, für die musikalische Einstimmung zu Gertrude Sandmanns 120. Geburtstag und Dank an alle, die zu dieser Feier gekommen sind.

"Kommt es nicht allein darauf an, sich zu freuen? Die Freuden zu finden?"
schreibt Gertrude Sandmann im Januar 1941 in ihr Tagebuch und findet in dieser Schreckenszeit die Lichtblicke eines düsteren Tages, eine rosa Hyazinthe, einen sonnendurchluteten Flur, malt den Träger eines Mädchens mit Florentiner Hut in leuchtendem Rot.
Einige Monate später schreibt sie: "Ich habe jetzt die eine Aufgabe, durch diese Zeit durchzukommen. Ich darf jetzt nicht immerfort an das Grauenhafte, Menschenunwürdige denken, das jetzt ständig geschieht, denn es zermürbt u. nichts kann ich damit daran bessern. Nur wenn ich durchhalte, dann vielleicht."

Die Idee für den Gedenkstein ist Ergebnis meiner sporadischen - leider nicht persönlichen - Begegnungen mit dieser Künstlerin über fast vier Jahrzehnte hinweg: Mitte der 1970er sah ich ihre Zeichnung Die Liebenden auf den Titelblättern der UKZ, Mitte der Achtziger begegnete sie mir im Rahmen der Ausstellung und des Kataloges Eldorado - zu Geschichte, Alltag und Kultur homosexueller Frauen und Männer in Berlin 1850-1950. Dank an Christiane von Lengerke, die sich in diesem Zusammenhang für ein Präsentsein Gertrude Sandmanns engagierte. Mehr über ihr Leben erfuhr ich wieder knapp zehn Jahre später in Claudia Schoppmanns Porträt "Finden sie mich oder finden sie mich nicht", in Zeit der Maskierung. Dank an die Archäologin der Lebensgeschichten lesbischer Frauen im "Dritten Reich". Beide Publikationen wurden mir Grundlage eines Vortrages in Toulouse 2001: Wie überlebten lesbische Künstlerinnen die Nazizeit in Deutschland?

Dazu gehörte auch Getrude Sandmann. Und sie gehörte mit Kitty Kuse und Hilde Radusch zu den wenigen, die eine Verbindung schufen zwischen dem Leben frauenliebender Frauen der 1930er hin zu den 70er Jahren. Sie überbrückten eine Jahrzehnte lange Lücke.

Wieder Jahre später, 2009, machte mich Roswitha Baumeister - ich möchte an dieser Stelle die Bedeutung von Kontakten, Freundschaften und Netzwerken betonen, die für unser Leben und Überleben in desolaten Zeiten wichtig sind - auf die Ausstellung Vom Sehen und Leben in Potsdam aufmerksam, die zwei Jahre später auch im Schöneberger Haus am Kleistpark gezeigt wurde. Welche Überraschung, ja Offenbarung, die Fülle der Bilder Gertrude Sandmanns zu sehen, die Aquarelle und Farben. Waren mir bis dahin doch nur vereinzelte schwarzweiß Zeichnungen bekannt. Mein Dank an die Kuratorin, die Kunsthistorikerin Anna Havemann und Peter Horvath, der die Bilder aus seinem Besitz zur Verfügung stellte und immer wieder stellt, so am nächsten Sonntag in Leipzig.

Bei der Beschäftigung mit Gertrude Sandmanns Lebensgeschichte tauchte auch die Frage nach ihrem Grab auf. Doch das Urnengrab auf dem Schöneberger Friedhof Eythstraße, in dem ihre Lebensgefährtin Tamara Streck zuvor beigesetzt worden war, existierte nicht mehr.

Nun war mir bekannt, dass auf diesem - dem Alten St. Matthäus-Friedhof - Gedenksteine gesetzt werden können auch für diejenigen, die hier nicht begraben sind. Außerdem liegt der Friedhof in der Nähe von Gertrude Sandmanns langjähriger Atelierwohnung in der Eisenacherstraße 89, und er ist Künstlerinnen und Frauenrechtlerinnen zugetan. Eine würdige Umgebung, ihr und ihrer Lebensgefährtin hier einen Gedenkstein zu widmen!

Wir, ein Freundinnenkreis, setzten die Idee um und danken der Steinmetzin Frau Wagener, die uns bei der Gestaltung des Steins beriet, ebenso Frau Burhoff von der Friedhofsverwaltung, die uns bei der Platzwahl beriet. Wir entschieden uns für die Nachbarschaft zur jüdischen Frauenrechtlerin Hedwig Dohm und zu den Sternenkindern; Stellen, an denen die Führungen von Frauentouren, vom Spinnboden Lesbenarchiv und dem friedhofsinternen EFEU-Verein vorbeigehen und so auch auf die Lebensgeschichten von Gertrude Sandmann und Tamara Streck hinweisen können. Unser ganz besonderer Dank gilt den Stein-Spenderinnen: Katrin Sieg, Silvia Trübiger, Linett Holzkämper, Dagmar Schultz, Helga Trachsel, Eva Bornemann, Ilse Kokula, Monika Wissel, Christiane von Lengerke, Suzette Robichon, Gudrun Poost, Hannelore Buschkötter, Ilka Schneider, Margot Wolff, Hannelore Mareske, Aldona Holmsten, Christel Wankel. Danken möchten wir auch der Bürgermeisterin Angelika Schöttler und der Frauenbeauftragten von Tempelhof-Schöneberg Ursula Hasecke für ihre Unterstützung zu dieser Steineinweihung.

Nach den nun folgenden Gedenkreden der Bürgermeisterin Angelika Schöttler, Claudia Schoppmann von der Gedenkstätte Stille Helden, der Zeitzeuginnen Ilse Kokula und Christiane von Lengerke, die heute leider nicht hier sein kann und deren Text Roswitha Baumeister lesen wird, sowie derjenigen, die spontan etwas sagen möchten, klingt unser Geburtstagsgruß mit Marion Schwan und ihrem Saxophon aus: An die Musik von Schubert. Das spielte Gertrude Sandmanns Onkel Arthur Wolffgang bevor er 1942 deportiert wurde, ihr jeden Freitag auf der Mundharmonika vor. "So hat man kleine Freuden, wenn man sie sich macht", schrieb sie in ihr Tagebuch. Und das ist auch ihr Vermächtnis an mich, an uns.

Traude Bührmann (Berlin 2013)